Schlittert das Verständnis für das Kunsthandwerk des Glasmalers auf Abwegen?
Stellungnahme von Glasmaler-Experte Martin Halter, gelernter Glasmaler/Kunstglaser EFZ und Glasmaler-Restaurator IER, Vertreter der 3. Generation bei Berns ältester Glasmaler-Familientradition der Gegenwart - gegründet 1916
aktualisiert per 22.12.2024
Eigentlich sollten sich neue verarbeitungstechnische Errungenschaften für aktuell zu inszenierende Glasmalerei-Projekte, zwischen der 1000jährigen Tradition und einer in der Gegenwart, jedoch nur vermeintlich weiterentwickelten Umsetzungsart in Balance halten. Das hiesse z.B. ein solches Experiment zu hinterfragen. Insbesondere, was sich mit einer materialgerechten Realisierung vereinigen lässt oder was weniger, - sonst verfängt man sich oft orientierungslos auf Abwegen und Beliebigkeiten, die einer Dekadenz zumal nur förderlich sein würde. Glas als Werkstoff ist und verbleibt stets einem Bruchrisiko ausgesetzt.
Zudem, baustatische oder bauphysikalische Probleme werden meistens erst gar nicht thematisiert und bilden somit ein zusätzliches Risiko. Solche Unzulänglichkeiten beinhalten vielfach ein grösseres Schadenpotential – weil aber eine Service-Freundlichkeit, wie in dieser Angelegenheit nicht gewährleistet ist – so bedarf es einen relativ hohen Arbeitsaufwand, um einer Schädigung real überhaupt noch begegnen zu können. – Solch neuere nicht ganz durchdachte, verarbeitungstechnische Verfahren, haben mitunter Einfluss, auf die weitere Zukunft der ganzen Entwicklungsgeschichte dieses Metiers.
Bei den derzeit in Mode gekommenen Farbglas-Collage-Repräsentationen, welche sich uns - ohne Bleiprofil-Führungen in Bauten – jedoch mittels Anwendung von Silikon-Laminaten (oder im Schmelzverfahren oder durch eine Aufklebe-Adaption), auf ganzflächigen Floatglas-Ebenen repräsentieren, herrscht völlige Unklarheit, wie viele Jahrzehnte, eine solche Verarbeitungstechnik ihren Dienst wohl erweisen würde(?) Bekannt ist, der mit Pulver aufbereitete Silicon-Rubber (in einem vorbestimmten Mischverhältnis) für Fugen, muss je nach exponiertem Standort oder anderen Einflussnahmen, nach Empfehlung alle 5 – 8 Jahren ersetzt werden. Andere Silikonprodukte auf dem Markt, welche einen längeren Zeitraum an Bestandgarantie zu gewährleisten hätten, beinhalten aber den Nachteil, dass jede noch so beglaubigte Garantie stark zu relativieren ist. Denn, dabei spielen die Umstände oder der Einflussfaktor durch die jeweils erfolgte Verarbeitungstechnik, eine zu wesentliche Rolle mit, so dass sich, noch so gut gemeinte Versprechungen eben doch in Grenzen halten.
Weitere Einflussfaktoren, wie durch die Sonnen-UV-Einstrahlung und ihre vielfach damit verbundene unkontrollierbare Erhitzung an der Substanz. Je nach dimensionierter Float-Glasfläche, vergrössert sich auch das Glasbruch-Risiko in Bauten, wo diese bereits bei geringfügigen Senkungen entstehen können. Der ganze Wartungsbereich, wie die Reinigung oder wie eine Reparatur-Aufgabe zu erfüllen bliebe, wenn z.B. gerade die ganze Float-Glasfläche, einen wesentlichen Glasbruch erlitten hätte. So müssten doch alle adaptierten Glasteile, erstmal einzeln entfernt und aufwendig gesäubert werden, um alsdann die ganze Float-Glasfläche zu ersetzen. Aufwändig müssten alle Farb-Glasteile wiederum an ihrer ursprünglich zugedachten Position fixierend adaptiert werden. Bei einem im Schmelzverfahren verarbeitetes Projekt müsste sogleich alles ersetzt werden (wie würde wohl ein adäquater Ersatz umgesetzt werden?). Nicht unerwähnt anzumerken bliebe, welchen längerfristigen Einfluss, die unterschiedlichen Koeffizient-Werte (Ausdehnung) bei den verwendeten, x-beliebigen Glasteile, in Bezug auf diese Verarbeitungstechnik haben könnten (z.B. örtlich kl. Rissbildungen beim Silikon-Laminat sind zumindest zu erwarten).
Nicht wirklich möchte der/die Künstler:in oder das jeweils beauftragte Atelier daran denken müssen, sich mit einer solch peniblen Herausforderung in Zukunft auseinandersetzen zu müssen. Die Frage stellt sich mir: warum glauben Kunstschaffende, dass sie sich, durch den Einbezug einer oder mehreren Bleiprofil-Führung(en), innerhalb einer bestimmten Fläche, eingeengt fühlen müssen? Meine Antwort: Der Einbezug einer oder mehrerer Bleiprofil-Führungen gilt es als gestalterisches Element zu respektieren und demnach zu aktivieren. Ansonsten setzen wir das Verständnis aus, uns mit der ursprünglichen Verarbeitungstechnik der Glasmalerei seriös auseinanderzusetzen. Farbfenster-Gestaltungen in der Architektur - ohne Bleiprofil-Führung - wirken eben absolut «haltlos» - das Verbindende zur Architektur fehlt. Eingebaut, bevorzugt die Ästhetik - auch in der Gegenwart - diese Kunstform stets als Bestandteil, architektonischer Kreation zu verstehen – nicht bloss als selbstzweck-bestimmende Aktion zu repräsentieren.
Martin Halter, gelernter Glasmaler/Kunstglaser EFZ u. Glasmaler-Restaurator IER, Bern
Glasmaler-Blog über Aktivitäten im Atelier Martin Halter Bern
direkten Kontakt weitere Informationen: Martin Halter in Bern Haupt-Webseite Atelier für Glasmalkunst Bern
Von der öffentl. Presse konnte soeben dieses Beispiel entnommen werden:
neue farbige Kirchenfenster in CH-6170 Schüpfheim > Nov./Dez. 2022 nach Entw. von Chr. St. /Ausf. Glasmalerei aus Rümlang /ZH /Verarbeitungstechnisches Verfahren: Farbiger Zuschnitt auf Floatglas fixiert – Laminat-Verfahren (mit Silikonkleber adaptiert). * Nachteile bei Reparatur-Ausführungen
Wartungsarbeiten, wie die Reinigung solch Farbfenster-Präsentationen in Kirchen, lassen jeweils z.B. die Ungewissheit zu, dass die, mit Silikon aufgefüllten Zwischen-räume (bei den Glasschnitt-Teilen) – infolge wiederkehrenden Schmutzabla-gerungen (Russ durch das Abbrennen von Kerzen oder Heizung) – nach ein paar Jahren, nicht mehr vollständig von Schmutzablagerungen zu reinigen sind.
Was sich bei solch verarbeiteten Farbfenstern, bei ihrer visuellen Repräsentation eher negativ für das zukünftige Erscheinungsbild erwarten lässt.
Unregelmässig verlaufende Distanzen bei den Glaszuschnitten, welche mit Silikon aufgefüllt sind, hätten zuweilen die Eigenschaft, dass sich dort minimale Risse bilden. Solche werden teilweise die wiederkehrenden Schmutzablagerungen «verinnerlichen», was bisweilen den Reinigungsprozess zusätzlich erschweren oder verunmöglichen kann.
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Ergänzende Anmerkung:
Die Frage bleibt offen, warum die Kant. Denkmalpflege des Kts. Luzern, eine solche Verarbeitungstechnik an einer öffentlichen Kirche zur Realisierung von 4 neuen Kirchenfenstern goutiert?
Eine Stellungnahme der Kant. Denkmalpflege Kt. Luzern, vom 23.02.2023: es handelt sich hier, nicht um die denkmalgeschützte Pfarrkirche St. Johannes und Paul, sondern um die 1913 erbaute ref. Kirche, die etwas südlicher gelegen ist. Sie ist im Kant. Bauinventar als "erhaltenswert" eingestuft. Erhaltenswert heisst, dass im Kanton Luzern die Zuständigkeit dieser Kulturdenkmäler der jeweiligen Gmeinde obliegt. Entsprechend wurde die Kant. Denkmalpflege LU über diese neuen Farbfenster auch nicht informiert. Auf die Nachfrage hin: es wurden keine historischen Fenster ausgetauscht. Diese Farbfenster-Collagen sind als separate Glasflächen in einem Rahmen rauminnenseitig vor die (ebenfalls nicht hist. Fenster prov. montiert worden, sodass diese jederzeit wieder entfernt werden können. Bei dieser Stellungnahme wurde von der Kant. Denkmalpflege Luzern, zudem meine Bedenken übereinstimmend bestätigt (integrierte Glas-Collagen im Bau).
Wollte
man sich im Voraus für solche spezifischen, verarbeitungstechnischen
Umsetzungen besser absichern, hätte man z.B. die EMPA (Eidg.
Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in 8600 Dübendorf) beiziehen
oder um Rat fragen können. Diese ist unter anderem zuständig für
anwendungsorientierte Materialwissenschaften und Technologie.
Insbesondere wäre die Eigenschaft über die zur Anwendung gelangten
Silikonverbindungen - betr. Haftungsgarantie unter diesen örtlichen
Bedingungen - von Bedeutung gewesen.
Meine hier aufgeführte Stellungnahme ist vor allem der Berufsethik des Glasmalers und Kunstglasers geschuldet
Schon in früheren Zeiten wurde immer wieder versucht materialgerechte Verarbeitungstechniken in dieser Branche aus verschiedenen Gründen zu unterlaufen. Solche Versuche - dieser Kunstform mit "neuen Innovationen" eine Weiterentwicklung zu ermöglichen sind meistens daran gescheitert, weil sich solche einzig auf eine spezifisch neue Verarbeitungstechnik oder auf neu zu verwendendes Material /Produkt fokussierte. Das Kunsthandwerk der Glasmalerei beinhaltet jedoch ein komplex zusammenhängendes, strukturiertes Ganzes, was nicht isoliert mit unreflektierten Veränderungen, einfach so zu beeinflussen oder zu manipulieren ist.
Trotzdem lässt diese Kunstform immer auch wieder Innovationen zu - die überraschen können - jedoch nur, insofern solche ganzheitlich durchdacht und die material-strukturierte Materie bei dieser Kunstform jeweils vollumfänglich mit einbezogen und respektiert wird.
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Aktuell werden solche
Gesetzmässigkeiten jahrzehntelanger Erkenntnisse und Erfahrung mit dieser
Kunstform vermehrt ausgegrenzt, um sich vermeintlich in uneingeschränkter
Manier und möglichst beliebig mit dieser Materie auseinandersetzen zu können.
Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, wenn parallel dazu die eigentlich
materialgerechten Aktivitäten in Vergessenheit geraten. Das
heisst konkret, mittels transparenter Silikon-Mischung werden all die
zugeschnittenen, farbigen Einzel-Glasteile auf eine Float-Glasfläche
aufgeklebt. Die geringen Zwischenräume werden bei den einzelnen
Glasteile ebenso auf die Schnittkanten-Höhen aufgefüllt. Bekannt ist,
dass der Ausdehnungskoeffizient der Einzel-Glasteile (je nach
Einfärbung) und je nach Sonneneinstrahlung (Erwärmung), auch
unterschiedlich gegenüber der Gesamt-Float-Glasfläche
nachzuweisen ist. Deshalb sind kleine Rissbildungen bei der
aufgetragenen Silikonmasse zu erwarten, die sich im Laufe der Jahre, wo
diese wiederkehrend einem solchen Prozess jeweils ausgesetzt verbleiben,
vermehren werden. Die Silikon-Substanz selbst, wird sich nach mehreren
Jahren, durch die UV-Einstrahlung vermehrt von gelblich bis hin zu
bräunlich verfärben. Langzeitstudien stehen kaum zur Verfügung und die
Herstellerfirmen von Silikonprodukten können keine schriftlichen
Garantien ausstellen, weil die jeweilige Ausführung und Anwendung durch
Dritte individuell, zuweilen beliebig umgesetzt würde. Eine
Nachhaltigkeit für dieses verarbeitungstechnische Verfahren ist also
nicht zu erwarten. Insbesondere auch im Schadenfall eines Glasbruchs an
der Gesamt-Float-Glasfläche. Mit grossem Aufwand müssten erstmals alle
Einzel-Glasteile von der Gesamt-Glasfläche entfernt und anschliessend
aufwendig von Silikonablagerungen gesäubert werden. Alsdann alle
Glasteile wiederum auf der neuen Float-Glasfläche mit Silikon fixiert
werden. Derweil
sind solche Arbeiten meistens nur
ausschliesslich in Verbindung mit einem unverhältnismässig hohen Aufwand
und
Risiko wieder instand zu stellen. Bisweilen werden solch
überdimensionierte
Glasflächen aus Kostengründen gar nicht mehr einer Reparatur unterzogen,
insbesondere grossflächig ausgerichtete, farbige Glascollagen, welche
auf
Floatgläsern in unterschiedlichem Klebeverfahren adaptiert wurden. Durch
die
zunehmende Einflussnahme von UV-Licht, auf bereits unzulänglich
umgesetzte
Glascollagen, werden sich solche Arbeiten bereits nach einer relativ
kurzen
Präsenz-Zeit von alleine als darstellende Kunstform im Bau
«verabschieden» -
mangels verarbeitungstechnischer Materialunverträglichkeit. Weitere
Probleme
sind ebenso bei örtlichen Wartungsarbeiten (z.B. banale wiederkehrend
auszuübende Reinigungsarbeiten, welche bei diesem Werkstoff zur
optimalen
Visualisierung, jeweils zwingend in regelmässigen Abständen erforderlich
bleiben) vorprogrammiert. Unsere Glasmaler-Vorfahren waren eigentlich
unserer
Zeit - punkto Respektierung einer materialgerechten Verarbeitungstechnik
– weit
voraus. Weil ebenso die Service-Freundlichkeit (für Reinigung
/Reparatur) respektiert und selbstverständlich mit eingeschlossen war
/ist. Martin Halter Bern
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